Landtag von Sachsen-Anhalt • Fünfte Wahlperiode • Plenarprotokoll 5/27 • 11.10.2007
Auszug aus
dem stenografischer Bericht
27. Sitzung
am Donnerstag, dem 11. Oktober 2007,
in
Magdeburg, Landtagsgebäude
Präsident Herr Steinecke:
Vielen Dank, Herr Professor Paqué. -
Als letztem Debattenredner
erteile ich Herrn Scharf von der
CDU-Fraktion
das Wort. Bitte schön.
Herr Scharf (CDU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren!
„Sachsen-Anhalt auf dem Weg in eine
offene Gesellschaft“
- diese Überschrift der
Regierungserklärung
des Ministerpräsidenten deutet es
schon an: Sachsen-
Anhalt war bis 1990 keine offene
Gesellschaft. Vor diesem
Hintergrund haben wir uns zum 17.
Jahrestag der
deutschen Einheit vor acht Tagen
darüber vergewissert,
wie weit wir auf dem Weg in eine
offene Gesellschaft
vorangekommen sind. Das hat in hohem
Maße dazu beigetragen
zu überlegen, wie wir mit der
DDR-Vergangenheit
umgehen sollen.
Wir konstatieren im Jahr 2007 die
beginnende Historisierung
der DDR. Schleichend entwickelt sich
die gemeinsame
DDR-Vergangenheit von einer Gegenwart
des
Zeitgeschehens zu einem historischen
Gegenstand.
Der Unterschied zwischen
Zeitgeschehen und Historie
besteht darin, dass das Zeitgeschehen
in einem unmittelbaren
Bezug zur Gegenwart steht und von uns
somit
normativ und emotional interpretiert
wird. Die DDR als
historischer Gegenstand hingegen wird
durch wissenschaftliche
Reflexion in die Gesamtgeschichte
eingeordnet.
Die unmittelbare Bezugnahme auf die
Gegenwart im
Sinne einer lebendigen
Erinnerungskultur geht - das
muss man feststellen - im Prozess der
Historisierung der
DDR Schritt für Schritt verloren.
Meine Damen und Herren! Diese
Entwicklung birgt eine
Gefahr, auf die der Autor und
Journalist Robert Ide in
seinem Anfang des Jahres erschienen
Buch „Geteilte
Träume - meine Eltern, die Wende und
ich“ hinweist. Ide
erzählt von Hoffnungen und
Enttäuschungen der Ostdeutschen
in Bezug auf die friedliche
Revolution und die
Wiedervereinigung. Er legt dar, dass
die Wende und
Wendefolgen innerhalb von Familien
sehr unterschiedlich
interpretiert werden.
Die Generationen der Eltern und der
Großeltern verspüren
ein deutliches Verlustgefühl mit
Blick auf vielfältige
scheinbare Sicherheiten, die mit der
DDR verloren gingen.
Hoffnungen in Bezug auf die Wende
steht oft eine
grundlegende Kritik an den Problemen
des Wiedervereinigungsprozesses
gegenüber.
Die Generation der Kinder hingegen
versteht die Sichtweise
ihrer Eltern zum Teil gar nicht mehr.
Sie hat in der
DDR von Freiheit geträumt, hat in der
Zeit 1989/1990 die
Freiheit gewonnen und sie inzwischen,
so gut es ging,
zur Verwirklichung persönlicher Ziele
genutzt.
Eltern und Kinder finden, so Robert
Ide, aus ihren unterschiedlichen
Blickwinkeln heraus kaum zu einer
gemeinsamen
Sprache. Der innerfamiliäre Dialog
über das gemeinsame
Leben in der DDR ist gestört oder
wird erst
gar nicht begonnen. Kritische Fragen
zur Vergangenheit
der Eltern und Großeltern werden
nicht gestellt oder
bleiben unbeantwortet. Die
unweigerliche Historisierung
der DDR wird damit der Wissenschaft
überantwortet.
Meine Damen und Herren! Erlauben wir
uns gedanklich
einen 17-jährigen Zeitsprung vom Jahr 1945 aus,
so würden
wir uns Anfang der 60er-Jahre des
letzten Jahrhunderts
befinden. Auch damals wuchs eine
Generation
heran, die Fragen an ihre Eltern
hatte, die viele Eltern
selbst nicht stellten. Zur Entstehung
eines Geschichtsbildes
gehört das Einander-Erzählen von
Geschichten.
Daraus sublimiert eine Gesellschaft
in einem vielschichtigen
Prozess dann ihr Bild von Geschichte.
Solche Prozesse können wahrscheinlich
nur sehr bedingt
beschleunigt werden, sie bedürfen aber
der wissenschaftlichen
Begleitung, damit nicht
unreflektierte
Deutungen ein verzerrtes Bild der
eigenen Geschichte
zeichnen, was wiederum mit Sicherheit
das Finden von
nachhaltigen Entscheidungen für die
Zukunft erschweren
würde.
Ich frage: Finden wir auf dem Weg in
die offene Gesellschaft
zu einer lebendigen Erinnerungs- und
Aufklärungskultur?
Eine Meinungsumfrage kann auf diese
Frage
und auch auf andere hier einleitend
formulierte Fragen
naturgemäß keine abschließenden
Antworten geben.
Bevor ich auf einige Ergebnisse des
Sachsen-Anhalt-
Monitors eingehe, schicke ich vorweg,
dass ich eine einleitende
Beschreibung der Intention dieser
Studie schon
ein Stück weit vermisst habe. Hätte
es eine solche gegeben,
dann hätten wir die Studie auch
besser einordnen
können.
Ich würde die Intention des
Sachsen-Anhalt-Monitors
wie folgt zusammenfassen: Es ist
wichtig, dass wir in
größeren Abständen die gefühlte
Stimmungslage im
Land verifizieren. Wir begegnen damit
der Gefahr, dass
jeder, insbesondere extremistische
Parteien und Gruppierungen,
diese Stimmungslage für sich
vereinnahmen
kann. Ich denke, die Ergebnisse der
Studie lassen eine
solche Instrumentalisierung auch
überhaupt nicht zu.
Darüber hinaus müssen wir danach
fragen, inwieweit Erfolge
in Politik und Wirtschaft, die wir
derzeit verzeichnen,
bei den Menschen auch tatsächlich
ankommen.
Werden sie auch als Erfolge der
politischen Institutionen
verstanden? Stärken sie das Vertrauen
der Bürger in
das politische System? Ich halte es
für überlegenswert,
diese Studie in einigen Jahren zu
wiederholen, um dann
auch die Wechselwirkungen zwischen
politischen, wirtschaftlichen
und sozialen Entwicklungen in einer
Langzeitstudie
erneut zu untersuchen.
Wo, meine Damen und Herren, steht Sachsen-Anhalt
auf dem Weg in eine offene
Gesellschaft? Der Sachsen-
Anhalt-Monitor 2007 legt in dieser
Hinsicht einen
Schwerpunkt auf den Umgang der
Sachsen-Anhalter mit
ihrer Vergangenheit und nicht so sehr
auf ihre Erwartungen
für die Zukunft.
Eines wird dabei sehr deutlich: Die
Sachsen-Anhalter
verklären den DDR-Sozialismus nicht.
Im Gegenteil: Die
Noten für das DDR-System fallen
schlecht aus und die
Vorteile der Wiedervereinigung
überwiegen klar. Auffällig
ist, dass die Befragten stark
unterscheiden zwischen
dem privaten Glück in der DDR-Zeit
und dem DDRSystem
als solchem, das ihnen Chancen
verbaute und
Freiheit nahm. Ich komme darauf
später noch einmal im
Detail zurück.
Erschreckend ist für mich, dass
immerhin 16 % der Befragten
im Notfall eine Diktatur dem
demokratischen
Rechtsstaat vorziehen würden. 78 %
sehen den Sozialismus
als eine gute Idee an, die nur
schlecht ausgeführt
worden ist. Angesichts unzähliger
sozialistischer und
kommunistischer Experimente in nahezu
allen Teilen der
Erde steht für uns als CDU jedoch
fest, dass die sozialistische
Idee gescheitert ist.
(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei
der SPD
und bei der FDP)
Unter keinem der sozialistisch
inspirierten Regime ist
es gelungen, vergleichbare
Freiheiten, Pluralismus und
Rechtsstaatlichkeit wie in
Deutschland zu etablieren.
Interessanterweise haben sich gerade
die schlimmsten
Diktaturen der vergangenen 90 Jahre
auf sozialistische
Ideale berufen. Der Sozialismus steht
der offenen Gesellschaft
offensichtlich entgegen.
Darüber aufzuklären bedeutet nicht,
die Ideale von
gleichberechtigter Teilhabe,
Solidarität und Frieden in
der Welt infrage zu stellen, die auch
Sozialisten vertreten.
Es geht vielmehr darum, dass der
Sozialismus immer
wieder versucht hat, ein bestimmtes
Verhalten der
Menschen zu erzwingen und dass
Sozialisten es auch
heute immer wieder mit diesem
Instrumentarium versuchen
wollen.
Präsident Herr Steinecke:
Herr Scharf, Herr Gallert möchte eine
Frage zu Ihrer
Aussage eben stellen.
Herr Scharf (CDU):
Ja, kann er.
Präsident Herr Steinecke:
Herr Gallert, bitte.
Herr Gallert (DIE LINKE):
Herr Scharf, ich habe sehr
interessiert eben Ihren Satz
gehört, dass Sie die verbrecherischen
Diktaturen in den
letzten 90 Jahren alle auf den
Sozialismus bezogen haben.
Heißt das, dass die Zeit des
Faschismus in
Deutschland 1933 bis 1945 in Ihrer
Auffassung eine
Spielart des Sozialismus war?
Herr Scharf (CDU):
Nein, überhaupt nicht. Dann hätten
Sie mich missverstanden.
Ich kann den Satz auch ein Stückchen
in dem
Sinne verallgemeinern, als letztlich
Totalitarismen immer
versprochen haben - ich sage es mit
anderen Worten -,
sie seien in der Lage, ein
Himmelreich auf Erden zu errichten.
Und das hat regelmäßig in der Hölle
geendet.
Alle Versuche kommunistischer
Diktaturen, sei es in Europa,
sei es in Asien, sei es in Amerika,
sind letztlich
diesen Weg gegangen. Ich möchte
einzelnen Protagonisten
überhaupt nicht ihre guten Absichten
absprechen,
aber der empirische Befund ist so,
dass alle diese Experimente
in der Katastrophe geendet sind.
(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei
der FDP)
Das, meine Damen und Herren, darf
nicht damit verwechselt
werden, dass der Nationalsozialismus
natürlich
auch für Deutschland und auch in
anderen Teilen der
Welt eine Katastrophe gewesen ist.
Nur darauf wollte ich
hinweisen, meine Damen und Herren.
Sehr erfreut bin ich darüber, dass
die stark gestiegene
Verbundenheit der Sachsen-Anhalter
mit ihrem Bundesland,
das heißt auch mit einer gewissen
Landesidentifikation,
zu vermerken ist. Wir alle wissen,
dass wir es in
einem so genannten Bindestrichland
immer schwer haben.
Insofern bin ich über dieses
Untersuchungsergebnis
sogar ein Stück weit erstaunt. Die
Zweifler sind jedoch
durch den Sachsen-Anhalt-Monitor
eindeutig widerlegt
worden. Wir können es schaffen, eine
Sachsen-
Anhalt-Identität aufzubauen.
Für mich persönlich ist auch der
Zusammenhang zum
Regierungswechsel im Jahr 2002
evident; denn Sachsen-
Anhalt hat sich in wenigen Jahren von
dem „Rote-
Laterne-Land“ zu einem Aufsteigerland
entwickelt. Ich
glaube schon, dass deutliche
Verbesserungen der Lebenssituation
in einem Land auch dazu führen, dass
sich
die Menschen mehr mit ihrer Region
und mit ihrem Land
identifizieren können.
(Beifall bei der CDU und bei der FDP)
Eine starke Identifikation mit dem
eigenen Bundesland
ist ein wichtiger Antrieb zur
eigenverantwortlichen Stärkung
des wirtschaftlichen und sozialen
Umfeldes. Für
die Identifikation sind die gemeinsame
Herkunft, die gemeinsame
Geschichte und gemeinsame religiöse
Wurzeln
konstituierend.
Ähnlich wie die europäische Identität
konstituiert sich die
sachsen-anhaltische aber auch und
gerade aus den Erfahrungen
der Gegenwart. Die Überwindung der
Spaltung
Europas, die letztlich die
Neugründung des Landes
Sachsen-Anhalt ermöglichte, ein
moderater Wettbewerbsföderalismus
und globale Standortwettbewerbe
sowie der Dialog mit anderen Kulturen
zählen zu diesen
Erfahrungen.
Nicht zuletzt prägen auch Erwartungen
an die Zukunft
unsere Identifikation mit der Region,
in der wir leben.
Verbundenheit und Offenheit für
fremde Einflüsse schließen
sich gegenseitig nicht aus, sondern
befördern einander.
Das Wissen um die eigenen Ursprünge
schärft
das Bewusstsein für Gemeinsames und
Trennendes.
Auf dieser Basis können wir uns
bewusst auf Neues einlassen
und voneinander lernen.
Umso deutlicher muss ich aus der
Sicht der CDU-Fraktion
sagen, dass uns das Umfrageergebnis,
dass 23 %
der Sachsen-Anhalter die Ansicht
vertreten, Deutschland
sei durch Ausländer in einem
gefährlichen Maß überfremdet,
alarmiert hat. Wir müssen alles dafür
tun, dass
es einer kleinen Minderheit der
Bevölkerung nicht gelingen
kann, Fremde und Andersartige aus der
Mitte der
Gesellschaft an den Rand zu drängen.
Die Feststellung,
dass viele Bürger der ehemaligen DDR
im natürlichen
Umgang mit Menschen anderer Hautfarbe
und Kultur
ungeübt sind, kann keine
Entschuldigung für Anfeindungen,
Ausgrenzungen oder gar Gewalt sein.
(Zustimmung von Frau Fischer, SPD)
Wer sich zu seinem Land
Sachsen-Anhalt bekennt, dem
muss es ein Herzensanliegen sein,
dass sich Fremde
hier bei uns wohlfühlen können und
dass sie in diesem
Land, von dem wir glauben, dass es
eine gute Zukunft
hat, selbst eine Zukunft sehen und
finden. Nur dann
werden sie auch die ehrlichen
Anstrengungen zur Integration
unternehmen, die wir von ihnen zu
Recht erwarten
und einfordern.
Sachsen-Anhalter, die stolz sind auf
die reiche Geschichte
ihres Landes, zum Beispiel als
Ursprung des
Heiligen Römischen Reiches Deutscher
Nation in einem
europäischen Reich mit integrativer
Kraft, die stolz sind
auf das Magdeburger Recht als einen
der ersten Exportschlager
auf dem Gebiet des heutigen
Sachsen-Anhalt,
die stolz sind auf ein Kernland der
Reformation mit ihren
weltumspannenden Ausprägungen und die
stolz sind auf
Sachsen-Anhalt als eine Region in der
Mitte Europas
- diese Sachsen-Anhalter können ihre
Identifikation mit
Sachsen-Anhalt nicht anders als
integrativ verstehen,
meine Damen und Herren.
Weltoffenheit ist für sie ein
persönlicher Wert, weil Weltoffenheit
für die genannten Errungenschaften
Sachsen-
Anhalts unverzichtbar ist. Dies
sollten wir als engagierte
Vorbilder für ein weltoffenes
Sachsen-Anhalt überall dort
deutlich machen, wo wir auftreten und
Verantwortung
tragen.
Ich möchte ein drittes Ergebnis der
Studie ansprechen:
die hohe Zustimmung der
Sachsen-Anhalter zu dem politischen
System, in dem sie leben, und
zugleich ihr
mangelndes Vertrauen in dessen
Institutionen und deren
Funktionsfähigkeit. Es ist von allen
Rednern angesprochen
worden: Die parlamentarische
Demokratie wird bejaht;
ihre Leistungen und ihre
Repräsentanten werden
jedoch sehr kritisch gesehen.
Wir müssen uns mit dieser großen
Diskrepanz - verkürzt
könnte man vielleicht sagen: zwischen
Theorie und Praxis
- offen und ehrlich
auseinandersetzen. Ich will an dieser
Stelle von diesem Pult aus keine
vorschnellen Antworten
geben. Aber ich will sagen: Das ist
wieder einmal
eine Frage, die uns ins Stammbuch
geschrieben worden
ist und die sich jeder Abgeordnete in
seinem Wahlkreis,
die sich jede Fraktion und wir uns
als Parlamentarier
insgesamt immer wieder stellen
müssen.
Denn dass unser eigenes politisches
Engagement, dass
unser eigenes politisches Handeln so
wenig öffentliche
Akzeptanz findet, ist für jemanden,
der sich persönlich
abmüht und abrackert, eigentlich kein
gutes Ergebnis.
Aber es gilt nicht denjenigen zu
kritisieren, der befragt
worden ist, sondern es gilt, das
Befragungsergebnis ehrlich
an uns herankommen zu lassen.
Meine Damen und Herren! Welche
Handlungserfordernisse
sehe ich? Wie reagieren wir auf den
gesellschaftlichen
Befund, den uns der
Sachsen-Anhalt-Monitor liefert?
Wie können wir zu dem Gang in eine
offene Gesellschaft
ermutigen?
Als Christdemokrat bin ich davon
überzeugt: Ausgangspunkt
einer erfolgreichen landespolitischen
Agenda ist
das Bewusstsein um die Grenzen der
eigenen Handlungs-
und Gestaltungsfähigkeiten. Wir
können und wollen
gesellschaftliche Entwicklungen durch
geeignete
Rahmenbedingungen nur anregen. Wir
können sie aber
in der Regel nicht erzwingen und wir
wollen sie in der
Regel auch nicht erzwingen.
Die offene, plurale Gesellschaft
erzwingen zu wollen,
bewirkte genau das Gegenteil. Dies
betone ich auch in
einem Bewusstsein um politisch
induzierte Fehlentwicklungen
im Laufe des Einheitsprozesses, vor
allem aber
auch um die Wirkungen von 40 Jahren
DDR, die bis
in unsere heutige Zeit nachhaltig
hineinreichen. Der
Staatsapparat der DDR hat die offene
Gesellschaft offen
bekämpft, indem er alle Bereiche des
gesellschaftlichen
und, so weit irgend möglich, auch des
privaten Lebens
zu dominieren versuchte.
Sind wir uns also als Lehre aus der
jüngeren Geschichte
unserer Begrenzungen bewusst und
vertreten wir diese
Haltung auch in der Öffentlichkeit,
um der offenen Gesellschaft
Raum zur Entfaltung zu geben; denn
ein gutes,
tolerantes und lebendiges Miteinander
braucht zuallererst
Freiheit. Es muss daher darum gehen
und es
muss gelingen, dass wir
Eigeninitiative überall dort zulassen,
wo sie möglich ist - Stichwort
Bürokratieabbau -,
dass wir Eigeninitiative aber auch
offensiv einfordern
- Stichwort: solidarische
Sicherungssysteme - und auch
die notwendigen Anstrengungen des
Einzelnen.
In diesem Verständnis von unserer
Rolle als Landesgesetzgeber
können und sollten wir uns sowohl
normativ
als auch regulativ für eine offene
Gesellschaft engagieren.
Wenn Sie, Herr Professor Paqué,
meinen, wir stürzten
uns von einer Überregulierung in die
andere,
(Herr Prof. Dr. Paqué, FDP: So ist
es!)
so muss ich sagen: Bestimmte Bereiche
müssen aber
auch wirklich reguliert werden und
die Bevölkerung verlangt
dies. Genau diejenigen, die zum Teil
über Überregulierungen
stöhnen, schreiben am nächsten Tag in
Leserbriefen in der Zeitung: Es kann
doch wohl nicht
sein, dass gerade dieser eine
Lebensbereich, der sie ärgert,
nicht öffentlich geregelt worden ist.
(Beifall bei der CDU, bei der SPD und
von der
Regierungsbank)
Also müssen wir schon ein Stück weit
schauen, dass wir
einen verantwortbaren Mittelweg
finden.
Welche Aufgaben sehe ich speziell für
uns im Landtag
von Sachsen-Anhalt? - Wir haben im
Landtag schon viele
Debatten über das schwierige Erbe der
DDR geführt.
Auch in der aktuellen
Auseinandersetzung um den Stiftungsrat
der Gedenkstättenstiftung müssen wir
uns dieser
unserer Verantwortung erneut stellen.
Es geht um
die Funktionsfähigkeit einer
wichtigen Einrichtung, die
wir geschaffen haben. Es geht darum,
dass die entstandenen
Irritationen abgebaut werden. Die
gegenwärtige
Blockade im Stiftungsrat muss gelöst
werden, damit wir
uns nicht die Probleme, die andere
ostdeutsche Länder
auf ähnlichen Gebieten haben, auf Dauer
auf den Tisch
ziehen.
Deshalb sage ich an dieser Stelle
ganz deutlich: Wir als
CDU-Fraktion würden es wirklich
begrüßen, wenn die
Fraktion DIE LINKE ihre
Schlüsselrolle in diesem Prozess
erkennt, annimmt und darauf reagiert.
Die Äußerungen
von Frau Tiedge auch anlässlich der
Sendung
des Bayerischen Rundfunks am 3.
Oktober 2007 haben
nicht geholfen, in dieser
Angelegenheit ein Stück voranzukommen.
(Lebhafter Beifall bei der CDU, bei
der SPD, bei
der FDP und von der Regierungsbank)
Die von Frau Tiedge ausgesprochene
Bewertung von
staatsanwaltschaftlicher Tätigkeit zu
DDR-Zeiten ist
schlicht verharmlosend.
(Zustimmung von Herrn Stahlknecht,
CDU)
Die Justiz der DDR verstand sich
selbst als Klassenjustiz
und unterschied sich dabei nach
eigener Auffassung
grundlegend von der Justiz in einer
demokratisch legitimierten
Gesellschaft. Diese Auffassung, denke
ich, sollte
unter uns Konsens sein. Deshalb
spreche ich es an
dieser Stelle noch einmal deutlich
aus: Helfen Sie mit,
die volle Arbeitsfähigkeit der
Gedenkstättenstiftung herzustellen,
indem Sie eine besser geeignete
Kandidatin
für den Stiftungsrat nominieren!
(Lebhafter Beifall bei der CDU, bei
der SPD, bei
der FDP und von der Regierungsbank -
Zuruf von
Frau Bull, DIE LINKE)
Ich möchte noch einen anderen Aspekt
erwähnen, der
für den Umgang mit der eigenen
Vergangenheit vielleicht
wichtig ist. Dabei beziehe ich unsere
eigene Partei,
unsere eigene Fraktion
selbstverständlich ein.
(Oh! bei der LINKEN)
Die uns vorliegende Studie zu den
politischen Einstellungen
zwischen Gegenwart und Vergangenheit
offenbart
eine deutliche Ambivalenz des
DDR-Bildes der
Sachsen-Anhalter. Privat, so sagen
viele, konnte man
gut leben. So sehen es nahezu alle
Befragten. Die Einflüsse
des DDR-Systems auf die eigene
Lebensführung
hingegen werden überwiegend negativ
beurteilt.
In der DDR war die Ausweitung des
Privaten wichtig. Die
engen Grenzen, die der Staat der
persönlichen Entfaltung
setzte, sollten möglichst weit
hinausgeschoben
werden. Die Erinnerungen an das
private, dem Staatszugriff
abgetrotzte Leben in der DDR sind
daher eindeutig
positiv besetzt. Ich erinnere an die
vielen Geschichten,
die heute immer wieder gern erzählt
werden, wie
man die Staatsmacht früher
ausgetrickst hat. Ich muss
dazu sagen: Das eine oder andere
würde heute rechtsstaatlichen
Ansprüchen auch nicht genügen.
(Zuruf von Frau Budde, SPD)
Aber man hat versucht, sich permanent
dem Staat zu
entziehen.
Natürlich, meine Damen und Herren,
konnte auch in der
sozialistischen Diktatur ein privates
Leben gelingen.
Familien existierten damals wie
heute. Es wurden die
entscheidenden Wertegrundlagen in den
Familien gelegt
oder sie wurden eben auch nicht
gelegt. Das ist früher
gelungen oder auch nicht gelungen. Es
gab beruflichen
und persönlichen Erfolg. Es gab
Freundschaften und
Freude.
Aber wehe der Staat, die Diktatur des
Proletariats, angeblich
inkarniert in der führenden Rolle der
SED, erklärte
einen Bürger zum Feind, zum
Staatsfeind. Dann
konnte einem Bürger schnell und oft
unentrinnbar ein
Schicksal ereilen, wie es heute in
zahlreichen Dokumenten,
Werken der Literatur und auch des
Filmes
nacherlebbar ist. Deshalb, meine
Damen und Herren,
muss allen Verharmlosern der zweiten
deutschen Diktatur
dieses immer wieder deutlich vor
Augen gehalten
werden.
(Beifall bei der CDU, bei der SPD,
bei der FDP
und von der Regierungsbank)
Um ein anderes Bild zu wählen: Alle
Nostalgiker müssen
sich fragen lassen, ob sie nicht dem
psychologisch
schon im Alten Testament im Buch Mose
beschriebenen
Blick zurück zu den „Fleischtöpfen
Ägyptens“ erliegen.
Es ist keine neue Erfahrung.
Meine Damen und Herren! Wir müssen
uns den gefühlten
Wendeverlierern regulativ noch intensiver
widmen.
Immerhin 30 % sehen ihre Hoffnungen
in die Wende
nicht erfüllt. Für 26 % überwiegen
persönlich die Nachteile
der Ereignisse von 1989/90.
In vielen Bereichen konstatieren die
Autoren des Sachsen-
Anhalt-Monitors erschreckend hohe
Zustimmungswerte
hinsichtlich der Aussage, die
Situation habe sich
nach der Wende verschlechtert.
Auffällig ist, dass vor allem
Menschen mit niedrigem Schulabschluss
und Ältere
die Wendefolgen negativ beurteilen.
Ihr Anteil an der
Gesamtbevölkerung ist in den
vergangenen Jahren demografisch,
aber wahrscheinlich auch
abwanderungsbedingt
gestiegen; denn diejenigen, die gute
Arbeit gefunden
haben, sind zum Teil abgewandert;
diejenigen,
die nichts gefunden haben, sind hier
geblieben. Deshalb
sind die Enttäuschten hier unter uns.
Wir müssen mit ihnen
leben, und wir müssen ihr Schicksal
ehrlich annehmen,
weil es gewendet werden muss.
Es gibt in meinen Augen nur einen
Weg, den so genannten
Wendeverlierern einen Weg in eine
lebenswerte offene
Gesellschaft zu eröffnen. Europa und
damit auch
die neuen Bundesländer müssen zum
wettbewerbsfähigsten
und dynamischsten wissensbasierten
Wirtschaftsraum
der Welt werden. Wir müssen aus der
höchst erfolgreichen
wirtschaftspolitischen Konstruktion
Europa und Deutschland eine
sozialpolitisch erfolgreiche
Konstruktion machen. Dazu gehört
auch, dass wir die
noch viel zu hohe Arbeitslosigkeit,
ja immer noch Massenarbeitslosigkeit
in den neuen Bundesländern spürbar
senken.
Deshalb, meine Damen und Herren,
gehören die Diskussionen,
die im Moment sehr kontrovers über
Arbeitnehmerrechte,
über Teilhabegerechtigkeit, über
Kinderbetreuung,
über Bildungsgerechtigkeit, über
einen Mindestlohn
oder über die Bezugsdauer von
Lohnersatzleistungen
geführt werden, zu den elementaren
Diskussionen,
die wir im Moment brauchen, um den
für uns gangbaren
und guten Weg in eine offene
Gesellschaft zu finden.
Wir können uns diese Diskussionen
nicht ersparen. Je
sauberer wir zu Ergebnissen kommen,
die tragfähig
sind, desto einfacher werden wir auch
den Weg in die offene
Gesellschaft finden. Ja, ich meine,
meine Damen
und Herren, auch die Diskussionen
über den Solidarpakt,
über die Begrenzung der
Neuverschuldung und
über die Generationengerechtigkeit
gehören zur Sicherung
der Zukunft einer offenen
Gesellschaft.
Die Erlangung und die Sicherung von
Wettbewerbsfähigkeit
allein werden nicht ausreichen, die
Bürger mitzunehmen.
Wir müssen es schaffen, dass auch der
„Normalbürger“ von den Vorteilen der
offenen Gesellschaft
möglichst durch eigene Erfahrungen
überzeugt
wird.
Drittens, meine Damen und Herren: Der
Weg in eine offene
Gesellschaft führt - davon bin ich
überzeugt - über
die Stärkung der Bürgergesellschaft.
Das soziale Umfeld
wirkt als Korrektiv gegen
Extremismen, gegen Verlustempfinden
und gegen die Angst, nicht gebraucht
zu
werden und keine geachtete Stellung
in der Gesellschaft
zu finden.
Gute Nachbarschaften, in denen man
sich mit Achtung,
Sensibilität und Hilfsbereitschaft
begegnet, helfen gegen
die Vernachlässigung von Kindern, die
wir in Ost und
West verstärkt beobachten.
Es kann keinen Zweifel daran geben,
dass bei der Vielfalt
der Aufgaben, die der Staat aus
eigener Kraft nicht
bewältigen kann, jeder mit seinen
Fähigkeiten gebraucht
wird. Der Staat kann und will nicht
alles richten. Die Bürger
müssen sich in der Bürgergesellschaft
auch untereinander
gegenseitig stärken.
(Zustimmung von Herrn Franke, FDP)
Meine Damen und Herren! An dem
Beispiel Kinderbetreuung
wird auch eines deutlich, was uns zum
Beispiel
Seitz und Ragnitz ins Stammbuch
geschrieben haben:
Unsere Ausgaben für die
Kinderbetreuung in Sachsen-
Anhalt liegen je Einwohner um 50 %
über denen in
den finanzschwachen westlichen
Flächenländern. Wir
haben damit das bundesweit
quantitativ und auch qualitativ
am besten ausgebaute
Betreuungsangebot für Kinder.
Vor diesem Hintergrund ist wirklich
zu überlegen,
was wir verändern müssen, um die auch
bei uns weiter
vorhandenen Defizite in der
Kinderbetreuung abzubauen;
denn es kommen auch unter unseren
guten Betreuungsbedingungen
viel zu viele Kinder mit zu
schlechten
Voraussetzungen in die Grundschule.
Meine Damen und Herren, die Studie
sagt mir aber auch
eines: dass es nicht allein ein
Finanzproblem zu sein
scheint. Wir müssen darüber
nachdenken, wie wir mit
den vorhandenen und im Moment
offensichtlich bei uns
auch großzügig ausgegebenen
finanziellen Ressourcen
einfach bessere Ergebnisse erzielen.
(Zustimmung bei der CDU)
Es wurde vorhin schon kurz erwähnt,
dass der Begriff
der offenen Gesellschaft an die Schrift
erinnert, die
der Philosoph und Staatstheoretiker
Karl Popper im
Jahr 1945 veröffentlicht hat. Ich
will hier keinen weiteren
philosophischen Exkurs vom Pult aus
veranstalten, aber
doch wenigstens sagen, dass sie eine
der Grundschriften
dieses Jahrhunderts gewesen ist, die
den nachkommenden
Generationen immer wieder einen Weg
gezeigt
hat, der ernsthaft zu überlegen ist
und der - das
war von Karl Popper auch ganz
deutlich beabsichtigt -
als Abkehr von Totalitarismen
jeglicher Art gemeint ist.
Das ist, glaube ich, ohne Karl Popper
an dieser Stelle zu
sehr in Beschlag nehmen zu wollen,
die wichtige Botschaft,
die wir auch heute noch von Karl
Popper mitnehmen
können und die uns allen wirklich
eine Mahnung
sein soll, den Weg in eine lebendige
pluralistische Demokratie
zu wählen, die den Staat auch in
gewisser
Weise in seine Grenzen weist; denn
der Staat wird nicht
all das richten können, was so
mancher Bürger von ihm
erwartet.
Ich will dieses Buch an dieser Stelle
heute aber nicht
überinterpretieren. Es war mehr oder
weniger, denke ich
einmal, der Aufhänger für unsere
Debatte, ist aber heute
nicht Thema eines philosophischen
Seminars.
Ich komme zum Schluss meiner
Ausführungen. Die offene
Gesellschaft wird nach meiner
Auffassung keine
Zukunft haben, wenn es keinen Konsens
darüber gibt,
dass unsere Gesellschaft nur
überlebensfähig und überlebenswert
ist, wenn die Glieder der
Gesellschaft jetzt
bereit sind, Verantwortung für die
Zukunft zu übernehmen.
Unsere Grundwerte Freiheit,
Solidarität und Gerechtigkeit
sind weder selbstverständlich noch
für alle Zeiten
politisch gesichert. Diese drei
Grundwerte sind Maßstab
und Orientierung unseres politischen
Handelns. Sie erfordern
und ergänzen einander. Ihre
Gewichtung untereinander
sinnvoll zu gestalten, ist unsere
Aufgabe und
Kern unserer politischen
Auseinandersetzung. Ich verstehe
auch so manche Auseinandersetzung in
diesem
Saal immer wieder als ein Ringen um
das Verhältnis
dieser drei Werte zueinander.
Aber Demokraten unterscheiden sich
von Antidemokraten
darin, dass sie sich nicht
gegenseitig absprechen,
diese drei Werte als Grundwerte
unserer Gesellschaft
anzuerkennen. Es kommt auf das Ringen
um ihre richtige
Gewichtung an.
Eine offene Gesellschaft erfordert
die Kraft für eine sinnvolle
Selbstbeschränkung, aus der
Verantwortung für
die zukünftigen Generationen gewonnen
werden kann.
Christlich gesprochen will ich an
dieser Stelle absichtlich
noch einmal den von mir sehr
geschätzten Alois Glück
zitieren.
Alois Glück hat den Begriff einer
modernen Askese wiederholt
in die politische Diskussion
gebracht. Es geht
nicht darum, Selbstgeißelung oder
eine Bußbewegung
oder vielleicht ein Ventil für ein
schlechtes Gewissen von
Wohlstandsbürgern zu eröffnen,
sondern es geht darum,
eine moderne Askese als ein Prinzip
der Beschränkung
selbst zu erkennen, wenn es um die
Chancen und um
die Rechte nachkommender Generationen
geht. Diese
Selbstbeschränkung kann uns
wahrscheinlich auch helfen,
den Weg in eine gute offene
Gesellschaft zu finden.
- Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei
der SPD
und von der Regierungsbank)
Präsident Herr Steinecke:
Vielen Dank, Herr Scharf. - Der
Fraktionsvorsitzende
Herr Gallert hat um das Wort gebeten.
Bitte schön.
Herr Gallert (DIE LINKE):
Es gibt für diese Wortmeldung einen
einzigen Anlass,
und der wird die wenigsten in diesem
Raum überraschen.
Es geht um die Aufforderung an unsere
Fraktion,
die Besetzung des Beirates der
Gedenkstättenstiftung
zu verändern, die in der letzten Zeit
hart in der öffentlichen
Diskussion war. Ich will dazu hier
Stellung beziehen
und diese Haltung auch noch einmal
begründen.
Wir werden dieser Aufforderung, Herr Scharf, nicht
nachkommen.
Ich will auch noch einmal begründen,
warum
wir das nicht tun werden, auch nach
dem von Ihnen zitierten
Filmbeitrag des Bayerischen
Rundfunks, der übrigens
in der Art und Weise seiner
Entstehung fast einzigartig
ist. Ich will darauf aber nicht im
Einzelnen eingehen.
Es steht folgendes Problem in Rede:
Frau Gudrun Tiedge
hat in diesem Beitrag gesagt, sie
bereue nicht, Jugendstaatsanwältin
geworden zu sein, und es habe in
der praktischen Arbeit eines Staatsanwalts
in erheblichem
Maße Übereinstimmung zwischen dem
gegeben,
was sie erledigt hat, und dem, was
ein Staatsanwalt in
der Bundesrepublik erledigt. Das ist
das, was sie gesagt
hat, und das ist das, worauf Sie
abgestellt haben.
Sie hat darüber hinaus auch noch
etwas anderes gesagt.
Das war in der „Volksstimme“
abgedruckt, der
Bayerische Rundfunk hat es natürlich
weggeschnitten,
was nicht anders zu erwarten gewesen
ist, und zwar
dass sie ausdrücklich bereue, an
Verfahren beteiligt gewesen
zu sein, die Ausdruck des politischen
Strafrechts
gewesen seien.
Jetzt haben wir folgendes Problem:
Muss Frau Tiedge
bereuen, dass sie in der DDR
Jugendstaatsanwältin geworden
ist oder muss sie das nicht? - Das
ist zugegebenermaßen
eine schwierige Frage.
Jawohl, die Staatsanwaltschaft in der
DDR, die Justiz in
der DDR war ein Machtinstrument der
herrschenden
Klasse. Sie war Ausdruck der Diktatur
des Proletariats.
Sie hatte keine demokratische
Legitimation, wie wir es in
einem Rechtsstaat verlangen. Das hatte
die Justiz nicht.
Das hatte die Polizei nicht. Das
hatten auch andere Bereiche
wie die Volksbildung nicht.
Die Volksbildung hatte sehr wohl
einen substanziellen
Auftrag zur ideologischen
Indoktrination, zur Herausbildung
eines sozialistischen Persönlichkeitsbildes,
zur
Herausbildung eines festen
Klassenstandpunktes. Übrigens
war das nicht nur der Auftrag der
Staatsbürgerkunde-
und der Geschichtslehrer, sondern
genauso der
Sportlehrer, der Musiklehrer, der
Kunsterziehungslehrer,
der Deutschlehrer.
Wenn wir diese konsequente Position
vertreten, du
musst aufgrund deiner Stellung in dem
System der
Deutschen Demokratischen Republik
bereuen, dass du
in diesem Bereich tätig gewesen bist,
(Zuruf von Frau Brakebusch, CDU)
dann müssen wir es von allen
verlangen. Ich muss aber
ganz deutlich sagen, dass ich - -
(Unruhe bei der CDU - Herr Gürth,
CDU: Inoffizielle
Mitarbeiterschaft bei der
Staatssicherheit ist
ja wohl noch etwas anderes!)
- Nein, es ging ausdrücklich um die
Tätigkeit als Staatsanwältin.
(Herr Gürth, CDU: Es waren nicht alle
Lehrer
IMs!)
- Es ging bei dieser Geschichte
ausdrücklich um ihre
staatsanwaltschaftliche Tätigkeit.
Ich muss ganz deutlich sagen, dass
ich einen solchen
Vorschlag noch nicht gehört habe. Ich
habe ihn bei Polizeiveranstaltungen
noch nicht gehört, ich habe ihn bei
Veranstaltungen vor Lehrern noch
nicht gehört und ich
habe ihn zum Beispiel auch nicht bei
dem letzten Anwaltstag
während des Grußwortes der
Landesregierung
gehört, bei dem eine Menge
DDR-Juristen herumgesessen
haben. Deswegen glaube ich, dass man
auch in
dieser Position sehr wohl geteilter
Meinung sein kann.
Ich habe noch nicht erlebt, dass
jemand substanziell
Schwierigkeiten gehabt hat, weil er
gesagt hat, er bereue
es nicht, in der DDR Lehrer gewesen
zu sein, Polizist
gewesen zu sein oder in der Justiz
gearbeitet zu haben.
Das ist der Unterschied in der
Bewertung. Den mögen
Sie anders sehen. Aber wenn Sie ihn
anders sehen,
dann sehen Sie ihn bitte konsequent
in jeder dieser Berufsgruppen
anders. Verlangen Sie das von allen,
nicht
nur von Frau Tiedge.
Weil ich nicht glaube, dass dies in
dieser Gesellschaft
wirklich mehrheitsfähig ist, werden
wir wegen dieser
Aussagen von Frau Tiedge unsere
Position nicht revidieren.
- Danke.
(Beifall bei der LINKEN)